Die Olympischen Spiele in München 1972 waren gleichermaßen herausragend positive, wie herausragend negative Spiele. Das erklärt es vielleicht wieso lange versucht wurde das Attentat zu ignorieren und zu verdrängen. Als die Geiselnahme begann und es bereits den ersten Toten gab, ließ man die Spiele erstmal weiterlaufen, als ob nichts wäre. Eine völlig groteske Situation, gerade im olympischen Dorf in der Conollystraße in der die Geiseln festgehalten wurden, aber zahlreiche Manschaften ihr Quartier hatten und nun Höchstleistung bei den Wettkämpfen bringen sollten. Doch das IOC wollt es so. Vermutlich war es auch der Protest von anderen Mannschaften der es schließlich zum Einlenken brachte. Dennoch wurden die Spiele schon kurz nach dem tragischen Ende und der Trauerfeier fortgesetzt mit den berühmten Worten „the games must go on“.
Erst 1995 wird überhaupt ein erstes dezentes Mahnmal aufgestellt. Bis dahin deutete nichts am Ort des Anschlages darauf hin welche Tragödie hier stattgefunden hatte. Es dauert bis 2017 bis ein wesentlich umfangreicherer „Erinnerungsort“ folgt. In anderen Städten ist man da längst weiter und inzwischen gibt es analoge Mahnmale an Olympiastädten weltweit. Dass man sich gerade in München lange so schwer tut mit dem Gedenken und der Erinnerung an das Attenat und es lieber verdängt, ist nur ein Teil der Unglaublichkeit. Das alles zunächst einmal zu verstehen ist wichtig, wenn man begreifen will worum es 2022 bei dem Streit und der Einigung mit den Hinterbliebenen um nachträgliche Entschädigung durch den Deutschen Staat geht.
„Aber Deutschland hat doch da niemanden umgebracht!“, hört man da oft, aber so ganz richtig ist das nicht. Ja, man war überrascht, aber man hat auch auf ganzer Länge versagt. Das was kaum noch jemand weiß: Schon vor den Olmypischen Spielen hatte es am Flughafen in München einen Anschlag gegeben, der allerdings nur Israelische Staatsbürger betroffen hatte und deshalb offenbar weitgehend verdrängt wurde bei der Einschätzung der Gefahrenlage. Ebenso versandeten konkrete Warnungen zu den Olympischen Spielen und schließlich lief der Einsatz alles andere als glorreich ab. Die eilig angebotene Hilfe durch Israel lehnte man rundweg ab, den strategisch durchaus vielversprechenden Plan Geiseln und Terroristen in ein anderes Land auszufliegen, mit der Zusage der Terroristen dort die Geiseln freizulassen, vereitelte man bewusst indem man das Flugzeug unaufgetankt und ohne Crew bereitstellte, wodurch es keinen anderen Weg als die Eskalation gab, auf die man aber überhaupt nicht sinnvoll vorbereitet war und auch handwerklich lief sehr vieles schief bei dem als stümperhaft einzuschätzenden Befreiungsversuch.
Das alles könnte man noch abtun als naiv, fahrlässig, unfähig, ignorant und mit sehr viel Wohlwollen achselzuckend hinnehmen. Das i-Tüpfelchen mit dem das Faß aber überläuft geschieht kurz nach dem Attentat. Obwohl keinerlei Zweifel an der Schuld der Terroristen besteht, macht man einen Deal und fliegt die Terroristen in die Freiheit aus, Lunchpakete inklusive, worauf diese direkt eine selbstgerechte Pressekonferenz in ihrer schnell wiederlangten Freiheit geben. Die Überlegung dabei offenbar: Bei dem Attentat ging es ja eigentlich nicht um Deutsche, sondern nur um Israelis und folglich stellt man sich am besten mit den Terroristen gut, dann lassen die uns bestimmt in Ruhe. Währenddessen windet man sich gegenüber den Angehörigen der Opfer, erzählt das Blaue vom Himmel und versucht sich vor Entschädigungszahlungen zu drücken. Das was schließlich erstritten und zähneknirschend bezahlt wird, kann man nur als schlechten Witz begreifen und somit wird 2022 lediglich eine längst überfällige alte Schuld bezahlt. Schlimm genug, dass man den Hinterblieben hier nicht freiwillig sondern nur auf deren Druck entgegen kam, nachdem sie sich geweigert hatten bei der Gedankfeier teilzunehmen.
Das Erschreckende und Widersinnige ist, dass die Olympischen Spiele 1972 in München, die ersten Spiele auf Deutschem Boden waren, seit den Nazi-Spielen 1936 in Berlin, die im Kontext des Holocaust ein schreckliches Erbe sind, das man durch explizit ausgerufene „heitere Spiele“ ausmerzen wollte. Alles sollte freundlich sein, nicht zu streng. Als völlig neues Konzept für die damalige Zeit war es explizit erwünscht die Rasenflächen im neu angelegten Olympiapark zu betreten. Man hatte bewusst auf das explizite Anlegen vieler Wege verzichtet. Aber auch die Kontrollen am Eingang zum Olympischen Dorf waren eher weich und abgesperrte Haustüren gab es nicht. Diese offene Grundtaktik machte es den Terroristen besonders leicht hier einzudringen.
Weniger konsequenzenreiche, waren viele andere gute Ideen. Die Zeltkonstruktion von Olympiahalle und Olympiastadion ist bis heute architektionisch weltberühmt, das seinerzeit entwickelte Farbschema und die neuartigen Piktogramme waren Richtungsweisend im Bereich des Designs und wirken bis heute nach. München blühte regelrecht auf, denn das U-Bahn- und S-Bahn-Netz hatte hier seinen Ursprung. Und sogar die heute so althergebracht wirkende „bayerische Gemütlichkeit“ entstammt offenbar dem Marketing zu den Olympischen Spielen und wurde erst 1972 künstlich ins Leben gerufen. Bei soviel Positivem, wird es ein wenig verständlicher wieso man sich so schwer tat dann umzuschalten und zu akzeptieren, dass „die heiteren Spiele“, durch das Attentat für alle Zeit weltweit vor allem als die Spiele des Olympiaattents in die Geschichtsbücher eingehen würden.
Besonders deutlich wird dies beim internationalen Film „München„, der überraschend wenig von München oder den olympischen Spielen handelt und sich ausschließlich mit den Nachwirkungen die das Attenat von München auf Israel hatte beschäftigt und die drastischen Reaktionen daraus. Israel hatte die Olympischen Spiele 1972 gerade wegen der Spiele 1936 in Berlin sehr genau verfolgt und war zutiefst geschockt durch was dann passierte. Nach der plötzlichen Geiselnahme, der Ankündigung alle auszufliegen und der Wendung, dass man die Terroristen dann doch in ein aussichtsloses Feuergefecht verwickelte kam hinzu, dass zunächst öffentlich erklärt worden war alle Geiseln wären befreit und am Leben, nur um dann eine Weile später einzuräumen dass vermutlich alle tot wären, aber eventuell doch ein oder zwei überlebt haben könnten, was sich ebenso als falsch herausstellte und eigentlich auch bekannt war. Das alles verstärkte den Schock sicherlich nur noch weiter. Bei der dann folgenden Racheaktion durch den Israelischen Geheimdienst Mossad, versuchte man die von Deutschland freigelassenen Terroristen und deren Unterstützer zur Strecke bringen, war dabei aber einerseits nicht ganz erfolgreich und ermordete mit Anschlägen wiederum auch einige Unschuldige.
Vermutlich wäre es mittel- und langfristig viel heilsamer gewesen sich viel früher zur Schuld zu bekennen, doch die involvierten Verantworlichen in Führungspositionen waren dazu nicht mutig genug. Vermutlich wohlwissend was alles schief gelaufen war, verloren sie sich lieber in Spekulationen und suchten ihre Schuldigen bei den niederen Rängen. Doch eine Verdrängung ist keine Aufarbeitung und somit war auch nicht der Weg frei, um das positive Image der Spiele wirklich zurück zu holen, so sehr man es auch versuchte. Es verblasste stetig unter dem Schatten und immer wieder versuchten neue Untersuchungen, Recherchen und Reportagen das Geschehen von damals aufzuarbeiten. Meist hangelte man sich an den offiziellen nüchternen Fakten entlang und verlor sich dabei in eher formalen oberflächlichen Aspekten und nahm dankbar die gefälligen Erklärungen an wer es denn verbockt hätte und dass man ja keine Schuld hätte, weil niemand damit rechnen konnte, dass es einen Anschlag geben könnte, obwohl das alles schlicht und ergreifend erlogen war. Ein Märchen das man sich zur Beruhigung des eigenen Gewissens ständig selbst vorsagte. Erst nach fast 50 Jahren ist es soweit, dass mehr Licht ins Dunkel und Bewegung in die Sache kommt. Möglich machen dies akribische neue Recherchen, die Befragung von Zeitzeugen die ihre Vergangenheit aufzuarbeiten beginnen und das Ablaufen von Geheimhaltungsfristen bei Akten und Unterlagen.
Es gibt zwei aktuelle Podcasts die hier großartiges geleistet haben und das Attentat nochmal neu unter die Lupe nehmen. Der eine nennt sich „Die Olympia-Protokolle“ und ist eine vierteilige Miniserie die auch im Rahmen eines Geschichtspodcasts des Bayerischen Rundfunks publiziert wurde. Die Olympia-Protokolle versuchen eher eine objektive Perspektive zu finden und eine gut aufbereitete und neu recherchierte Erzählung der Geschehnisse zu liefern. Sie sind als Einstieg und Background für jeden der sich der Ereignisse von damals nicht mehr zusehr bewusst ist, gut geeignet und bilden einen soliden Unterbau für den zweiten, nochmal deutlich interessanteren Podcast.
„Himmelfahrtskommando“ ist ein ganz anderer Erzählstil und liefert eine neue, spannende Perspektive. Es ist gleichzeitig die Geschichte zwischen einer Tochter und ihrem Vater und dem Weg den sie gemeinsam beschreiten um die Geschehnisse von damals, die ihn bis heute belasten und verfolgen, nochmal genauer zu recherchieren, zu hinterfragen und zu verarbeiten. Man ist hautnah dabei, wenn die zwei während dem Voranschreiten des Podcasts immer wieder auf interessante Wendungen und neue Erkenntnisse stoßen, die ein völlig neues Licht auf viele Details werfen. So flapsig und unprofessionell der Podcast am Anfang daher kommt, indem er viele Dinge nicht herausschneidet, so stimmig wird dieses Konzept wenn man versteht, dass es nicht nur um eine objektive Geschichtsstunde, sondern konkret um diese zwei Personen geht, von der eine extrem nah an den Geschehnissen dabei war und dazu aus der Erinnerung so nie protokollierte Erinnerungen hinzufügen kann. In 8 Folgen die über das Attentat hinausgehen und einen eigenen dramaturgischen Spannungsbogen haben, bekommt man in „Himmelfahrtskommando“ damit mehrere Geschichten auf einmal erzählt. Aus meiner Sicht einer der herausragensten Arbeiten zu dem Thema und einer der besten Podcasts die es gibt.
Zum 50.Jahrestag findet nicht nur eine Gedankfeier an einer neuen Gedenk- und Begegnungsstätte statt, sondern es gibt auch Berichte, die das ganze zusammenzufassen und nochmal aufzurollen versuchen. Einige davon werden hier nach und nach verlinkt: